Der Nöck
Alles fing mit dem Junggesellenabschied Alexanders an. Morgens um neun fingen wir an uns die Kante zu geben und ich weiß nicht mehr genau, um wieviel Uhr wir dann alle genug hatten.
Sogar zwei Mädels, ich würde sie nicht als Damen bezeichnen, hatten wir kennengelernt .
Alex hatte Glück, dass sie ihn mit in ihre Wohnung nahmen, um ihm ein-für alle Male zu zeigen, was er von nun an verpassen würde. Wir mussten ihm ja nicht erzählen, dass wir ihnen vorher eine ziemlich “ Dicke Marie ´´überlassen hatten.
Nach unserem letzten Bier, dass sich schon deutlich über meinem persönlichen Eichstrich befand, machte sich dann jeder auf die Socken, um mit dem letzten bißchen Orientierungssinn sein Domizil zu finden.
Ausser mir natürlich. Einige Tage zuvor hatte ich Babette kennengelernt und war von ihrem französischen Charme und ihrem Chic, sehr männlich begeistert. Sie studierte Jura und war neben ihrem attraktiven äußeren auch noch fünf mal schlauer als ich.
Ich glaubte , dass sie mich auch sehr nett fand und hatte mit meinem Brausekopf nichts anderes im Sinn als sie heute Nacht noch zu besuchen. Meine Libido und ich hatten uns also vorgenommen,die Abkürzung durch das Moor zu nehmen, um uns Babette zu schenken. Ich zitterte vor innerer Freude, oder war es der Alkohol?
Ich ließ also die letzten Häuser der Strasse hinter mir und kehrte der Zivilisation den Rücken um durch den Wald zu marschieren, der von einem großen Sumpfgebiet vereinnahmt wurde.
Zuvor hatte ich Babette noch eine Sprachnachricht geschickt, dass ihr Liebster mit unbändiger Liebeslust zu ihr unterwegs sei,wobei ich versuchte einigermaßen geradeaus zu sprechen.
Danach schaltete ich das Handy aus, um keine Absage erhalten zu können, was ich für äußerst raffiniert hielt.
Es war finster und recht kühl, soweit ich mich erinnere und gelegentlich musste ich innehalten, weil die Welt schwankte.
Der Weg, der durch das Moor zum anderen Ende der Stadt führte, war eigentlich durch farblich markierte Pfähle gekennzeichnet. Ein Verirren oder Abkommen vom Pfad ,war also eigentlich nicht möglich. Doch, lag es an den fünfzehn Bieren oder den vielen Tequillas, heute fand ich mich nicht zurecht. Ich hatte das Gefühl nicht mehr auf dem Weg zu sein. Meine Füße sanken immer mehr ein, das war sonst nie der Fall. Ich hatte schon ziemlich nasse Socken,als ich plötzlich durch die Bäume einen Lichtschein wahr nahm.
Ich war erleichtert, wahrscheinlich war es das erste Haus am Rande des Waldes. Babette geisterte es durch meinen Kopf. Hoffnungsvoll schritt ich in Richtung des Lichts. Zuerst ging es auch sehr gut, doch plötzlich war das Licht weg und tauchte an einer ganz anderen Stelle wieder auf.
Was sollte das bedeuten, hatte ich mich so verpeilt? Ich ging also weiter in diese Richtung, bis es wieder weg war. Mir war auf einmal klar, dass diese Licht nichts mit der Stadt zu tun hatte und ich mich hoffnungslos verlaufen hatte.
Dann machte ich noch einen Schritt und brach in den Waldboden ein. Panisch ruderte ich umher und mir wurde bewußt, dass ich in ernsthaften Schwierigkeiten steckte. Das Moor hatte sich meiner bemannt.
Das Handy schoss es mir in den Kopf, doch das steckte in der Hosentasche. Mit jeder Bewegung die ich machte, ging es weiter abwärts. Ich bekam das Handy zu fassen und versuchte es einzuschalten, doch das Sumpfwasser war schon eingedrungen und hatte es lahmgelegt. Um mich herum begannen immer mehr Lichter zu leuchten und sie bewegten sich gespenstisch hin und her.
Mein benebelter Kopf begann zu arbeiten und holte uralte Sagen von Irrlichtern und Sumpfgeistern hervor.
Inzwischen war ich schon bis zur Brust eingesunken und würde mich aus eigener Kraft nicht mehr befreien können. Schließlich begann ich aus Leibeskräften nach Hilfe zu rufen.
Unheimlich war es im Wald. Obwohl ich dem Tod nahe war, hörte ich alle Geräusche des Waldes. Es knackte hier und dort, ich glaubte das Heulen eines Wolfes oder Hundes zu hören und auch Gelächter.
Plötzlich fuhr ein blaurotes Licht mit einem lauten Knall, begleitet von einem satanischen Gelächter aus dem Waldboden und neben mir stand ein abscheuliches Wesen. Es sah aus wie eine große Mumie , mit langen dünnen Fingern, zwischen denen sich Schwimmhäute befanden. Dieses Wesen hatte einen uralten menschlichen Schädel, welcher wie mit einer Lederhaut bespannt schien. In diesem Schädel bewgte sich unablässig ein schmaler faltiger Mund, aus dem unablässig ein schwarzes Rinnsal floß, das nach Sumpfwasser stank.
Mein Überlebenswille war stärker als mein Entsetzen und so flehte ich ihn an mir zu helfen. Sein Mund verzog sich zu einem unrealen Grinsen, welches Fischzähne zum Vorschein brachte und einen größeren Schwall Sumpfwasser, zusammen mit großen Mengen Froschlaiches.
,,Was machst du hier in meinem Reich“, sprach er, ,,Bist du des Lebens überdrüssig?“ Seine Stimme klang wie das Quaken eines großen Frosches. ,,Weißt du nicht, wieviele Menschen hier schon durch meine Hand ihre letzte Ruhestätte fanden? Aber du sollst sie alle kennenlernen, das verspreche ich dir. Es ist Blasphemie, dass du mich um Hilfe bittest, denn ein Nöck bricht seine eigenen Gesetze nie. Doch“, er hielt inne ,, Heute ist mein tausendster Geburtstag und ich werde mir überlegen , was ich mit dir anfangen werde. Zuerst jedoch werden wir feiern.“
In der Zwischenzeit war der Wald von tausenden grünleuchtenden Irrlichtern erhellt und der Nöck klatschte drei mal in die feuchten Hände.
Das Moor öffnete sich und ich erblickte hunderte von Menschenleibern, die im Laufe der Jahrhunderte vom Sumpf verschlungen und von ihm konserviert wurden. Es waren alle Typen von Menschen dabei, angefangen vom Bettler bis hin zum Edelmann. Sogar eine Hochzeitsgesellschaft
mit Pferden und Kutsche und Braut . Sie waren natürlich grauenhaft mumifiziert und entstellt, jedoch erkennbar.
Ich stand nun auf dem Grunde des Moores und hatte festen Grund, jedoch die Oberfläche waberte in unerreichbarer Höhe. An Flucht war nicht zu denken.
Der Nöck klatschte erneut in die Hände und die Toten erhoben sich von ihren Plätzen.
Eine große Tafel wuchs aus dem Boden , auf ihr standen Schüsseln, Gläser und Flaschen. Der Nöck machte eine einladende Handbewegung und die gespenstische Ansammlung, einschließlich mir setzte sich an den Tisch.
,, Auf Grund meines Fleißes in den letzten Jahrhunderten“, sprach er ,, können wir heute meinen tausendsten Geburtstag mit so vielen Gästen feiern. Außerdem haben wir einen Ehrengast.“ Damit zeigte er auf mich. Sämtliche Mumien mit und ohne Gliedmaßen sahen zu mir und zollten Applaus,
so gut sie konnten. Mir war entsetzlich schlecht. Das wurde auch nicht besser als ich sah, was sich in den Schüsseln und Töpfen befand.
Darin erkannte ich Kröteneier garniert mit Froschlöffel, Kaulquappen die umherzappelten, Fischköpfe und Sumpfschnecken. Natürlich war alles roh zubereitet, frischer also als Sushi, welches ich jetzt allerdings lieber hätte.
Einzig und allein in den Gläsern und Flaschen war bester Whiskey, jahrhunderte alt, der war wohl mit der Hochzeitskutsche untergegangen.
Der Nöck sprach zu mir ,, Wenn du heute angemessen mit mir feierst, isst und trinkst, dann wirst du der Erste und der Letzte sein ,den ich wieder ins Reich der Lebenden entlasse. Also Zum Wohle.“
Damit prostete er mir zu. Ich trank zwei kräftige Schlucke Whiskey und noch zwei und noch zwei.
Danach begann das Surreale etwas lockerer zu werden. Ich zwang mir unter der den strengen Augen des Nöck einige Löffel Froschlaich herunter, nicht ohne Brechreiz und weiterem Whiskey. Die Braut gesellte sich zu mir. Donnerwetter dachte ich, was man sich nicht alles schön trinken kann.
Ihre braunen Haare quollen über ihre mumifizierten Schultern und die eingefallenen Augen betrachteten mich lüstern. ,, Wenn er mich lässt , werde ich ihm das Geigen lehren, wenn er versteht was ich meine.“ Damit streifte sie sich ihren Schlüpfer ab und steckte ihn in meine Tasche.
Ich gab ihr zu verstehen, dass ich zuerst mein Instrument stimmen müsse und sie gab sich zufrieden.
Der Whiskey floss noch in Strömen und ich trank mit den meisten der Gäste. Dann jedoch schwanden mir die Sinne. Das letzte was ich erblickte, war der Nöck, der eigentlich sehr glücklich aussah.
Ich erwachte von lautem Stimmengewirr und Hundegekläffe. Mein Kopf hämmerte wie ein Presslufthammer und ich wusste gar nicht wo ich war. Dann sah ich Babette und sie schimpfte mit ihrem bezaubernden französichen Akzent auf mich los, was mir einfalle, ihr eine Nachricht zu schicken und dann nicht zu kommen. Sie hatte die halbe Nacht gewartet und dann Alexander angerufen, der lallend erzählte, dass ich durch den Sumpf zu ihr kommen wollte.
Dann hatte sie die Polizei alarmiert und die hat mich hier abseits des Weges gefunden , bis zum Knie versunken.
Mir bleibt nur noch zu sagen, dass Babette und ich kein Paar geworden sind. Welche Dame will schon mit jemandem zusammen sein, der nach ein paar Tagen schon derart sein wahres Gesicht zeigt? Sturzbetrunken und mit einem fremden Schlüpfer in der Tasche?