Der Nebel
Ich bin Herr meiner Sinne, auch wenn derjenige, der dieses liest, daran zweifeln möchte. Vielleicht aber wird es niemanden geben, der noch imstande ist zu lesen.
Vorgestern war Sonntag. Es war ein schöner Augustmorgen, der Hoffnung auf einen heißen Tag versprach. Die Sonne stand glühend rot über den Wipfeln des Waldes und lud mich förmlich ein, aus dem Haus zu gehen.
Mein Freund Porky, ein hübscher Dobermannrüde, stand bereits am Hoftor und wartete. Er hatte wohl Gleiches im Sinn.
Nichts ist sonntags entspannender, als mit seinem Hund eine große Runde zu spazieren. Und dazu noch dieses Wetter …
Es war herrlich, die Vögel sangen die Melodien ihrer Ahnen, über dem noch stehenden Getreide gaukelten schwarze Falter, und eine schwere Schwüle stieg vom Boden empor.
Frisches Heu lag am Wegesrand, duftete betörend und ich wusste, dieser war einer jener Tage, der sich in meinem Gedächtnis einbrennen und von dem ich ewig zehren würde.
Die Menschen, denen ich begegnete, waren freundlich und winkten. Die ganze Welt schien mit sich im Reinen zu sein.
Als ich die letzten Vorgärten des Städtchens hinter mir gelassen hatte, wanderten Porky und ich noch eine Weile in die Feldmark hinein, um uns dann ins weiche Gras zu legen. Bienen, Hummeln und Schmetterlinge flogen emsig umher und tatenwas sie immer taten, die Evolution in den Genen.
Ich beobachtete die Schäfchenwolken und lobte den lieben Gott als einen guten Mann. Porky lief hin und her, schnüffelte und hob hier und da sein Bein. Er war eben ein ganzer Kerl – seiner Art.
Plötzlich hielt er inne, legte die Ohren an, sträubte das Fell und sah in eine Richtung. Er fing an zu bellen und zu knurren.
Von fern sah ich eine dichte Nebelwolke heranziehen, die sich schnell näherte.
Etwas konnte nicht stimmen, Porky bellte, die Vögel sangen nicht mehr, und was noch seltsamer war, der Nebel zog gegen den Wind. Die Nebelwand war riesig groß, schwarzgrau und hatte eine elliptische Form mit strengen Grenzen. So etwas hatte ich noch nie gesehen.
Der Hund war wie von Sinnen. Als der Nebel heran war, er zog etwa einen Meter an mir vorüber, geräuschlos und gespenstisch, steckte mein Porky den Kopf hinein, vermutlich, um ihn zu beißen – und fiel tot um. Ich saß wie gelähmt am Rande des Schauspiels und wusste nicht, wie ich mit dieser Situation umgehen sollte.
Nach etwa dreißig Minuten war der Nebel vorbeigezogen und ich wollte mich um meinen Hund kümmern, doch sein Kopf war sauber am Hals abgetrennt. Das Gras schien wie durchgekämmt.
Es existierten keine lebenden Organismen mehr darin.
Falter, Bienen, Hummeln oder Sonstiges gab es nicht mehr.
Es fehlten die Vögel in der Luft und auf den Bäumen.
Alles schien der Nebel mit sich genommen zu haben.
Aber etwas anderes machte mir jetzt Angst.Ich hatte keine Zeit, mich um Porky zu kümmern, denn ich sah, was der Nebel vorhatte.Er war unterwegs in Richtung Stadt.
Warum gerade ich das „Glück” hatte, genau hinter seiner rasiermesserscharfen Grenze zu stehen, schien mir wie eine göttliche Fügung zu sein.
Allerlei Unsinniges und Mythisches ging mir durch den Kopf. Gedankengänge wie „Das jüngste Gericht“ oder „Sodom und Gomorra“ umflatterten mein vernebeltes Hirn.
Ich lief seiner Spur hinterher, die eigentlich keine Spur, sondern eine riesige, öde, tote Fläche war.
Darin war nichts, aber auch gar nichts Lebendiges mehr. Er hatte alles assimiliert, was irgendwie einen Stoffwechsel hatte. Selbst das Gras schien seiner Photosynthese entzogen und lag grau und platt am Boden.
In dem Maße, in dem sich die Nebelwand durch die Gegend fraß, wuchs sie stetig weiter und vergrößerte sich wie ein lebender Organismus. Nahezu lautlos, nur durch Todesschreie adaptierter Tiere unterbrochen, eilte die Walze auf die Stadt zu. Ich war nicht in der Lage mitzuhalten.
Es war unmöglich in die Stadt zu telefonieren, denn selbst die Funksignale schienen von diesem Ding absorbiert zu werden.
Ich sah von fern, wie es in die Stadt einfiel, hörte hysterisches und panisches Geschrei.
Als ich endlich ankam, war die Orgie in vollem Gange. Der Nebel drang durch Schornsteine und offene Fenster in die Gebäude ein. Ich hörte es malmen und Knochen krachen.
Ich spürte, wie sich meine Haare vor Entsetzen aufrichteten, denn mein Gehirn konnte nicht verarbeiten, was meine Augen sahen.
Der Nebel färbte sich rot und aus ihm fielen wie aus einem Blutrausch Knochenstücke, Fleischfetzen, Exkremente und zuckende Gliedmaßen. Augäpfel rutschten mir in den Kragen und rollten mir zum Bauchnabel.
Längst schon sah ich aus wie ein der Apokalypse Entstiegener.
Menschen sprangen voller Panik aus den Fenstern und wurden während des Fallens zerrissen und aufgesaugt.
Jenes unfassbare Martyrium dauerte etwa eine Stunde, dann schien sämtliches Leben dieser Stadt auf barbarischste Weise ausgelöscht worden zu sein.
Der dunkellila gefärbte Nebel war zu gigantischen Ausmaßen angewachsen und erhob sich in die Luft.
Schwerfällig stieg er immer höher und höher, und im gleißenden Licht der Sonne schien ich ein Objekt auszumachen, das wie eine Suppenschüssel aussah. In ihr verschwand der Nebel. Die Suppenschüssel jedoch blieb, versteckte sich in der Aura unseres Gestirns, und ich wusste, dass dies erst der Anfang war.
Ich wollte, wir wären es … allein – im Universum …